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Narzissmus in der Familie - Erfahrungsberichte

Mein Erfahrungsbericht vom Sündenbock-Kind zur Königstochter

 

Ich, 45, bin als Pastorentochter mit zwei jüngeren Schwestern aufgewachsen.
Meine Kindheit verbrachte ich aber zu einem Großteil ohne meine Eltern bei meinen Großeltern.
Wenn ich nicht diese Liebe von Oma und Opa erhalten hätte, hätte ich das ausgestoßen werden meiner Familie nicht überlebt und das meine ich wortwörtlich.

Es gab immer mal wieder Gerüchte in der Gemeinde, dass mein Vater sich an Mitgliedern bereichert bzw. Gelder veruntreut haben soll.
Das konnte ich mir nie vorstellen, habe ihn auch stets vor anderen verteidigt. Als ich es 2016 bei mir selbst erlebte, habe ich einige betroffene ehemalige Gemeindemitglieder aufgesucht. Was ich dann herausfand war so schlimm, ich habe mich unglaublich für meine Eltern geschämt.
In der Auseinandersetzung mit meinem Vater hat er sich gegenüber meiner Mutter und meinen Schwestern als den Großzügigen und mich als die Undankbare hingestellt.
Daraufhin wurde ich von meinen Schwestern (die beide übrigens nicht gläubig sind) auf WhatsApp blockiert.


Ich konnte mich nie erklären, denn alle haben sich - ohne je meine Seite gehört zu haben - auf die Seite meines Vaters gestellt.
Auch meine Mutter. Sie hat so getan als sei sie völlig unwissend. Diese Taktik hat sie aber schon immer angewendet und ist damit stets durchgekommen.

Ich habe damals schon vorgeschlagen einen Mediator (Therapeuten, Seelsorger - auf jeden Fall eine neutrale Person) einzuschalten, aber meine Eltern wollten sich von keinem Fremden in ihre Angelegenheiten "reinreden" lassen.
Sie hatten ja auch nichts verkehrt gemacht, ich allein war die Böse.

Im April 2020 meldete sich mein Vater dann ganz überraschend telefonisch.
Er habe Krebs im Endstadium und nicht mehr lange zu leben, wolle sich mit mir aussprechen.
Ich bin sofort hingefahren, eine Aussprache gab es jedoch nicht, denn Schuld war ich für ihn nach wie vor an allem ganz alleine, das sagte er mir auch. Auf seinem Sterbebett nannte er mich "das Familienopfer". Er habe mich "nur als Kind lieb gehabt".
Bestürzt musste ich an diesem Tag feststellen, dass außer mir an einer Versöhnung niemand sonst Interesse hatte.

Einen Monat später kam Post vom Amtsgericht mit dem gemeinschaftlichen Testament meiner Eltern, dass ich "mit meinem ganzen Stamm" enterbt sei, nur den Pflichtteil bekäme.
Später schrieb mir dann ein Anwalt, meine Mutter wolle mit mir keinerlei Kontakt - meine Ansprüche seien über ihn zu regeln.
Für mich fühlte es sich so an, dass mir mit dieser Entscheidung meiner Eltern ganz öffentlich jede Wertschätzung und Anerkennung entzogen werden sollte.

Erst viel später erfuhr ich, dass meine jüngste Schwester die eigentliche Fadenzieherin im Hintergrund war.

Im Arbeitszimmer meines Vaters hing ein Spruch: " Versöhnung ist wichtiger als Recht zu behalten."
Ich habe mich oft gefragt wie man so unversöhnlich (selbst wenn ICH ALLEINE alles falsch gemacht hätte) sein kann.

Dann habe ich das Buch "Narzissmus in der Familie - Untersuchung eines Verbrechens" von Elena Digiovinazzo gelesen und mir ging ein Kronleuchter auf!
Ich hatte jahrelang das Internet nach einer ähnlichen Geschichte wie meiner durchforstet, weil ich Hilfe gesucht habe - und nichts vergleichbares gefunden. Allenfalls Zeugen Jehovas behandeln Aussteiger so wie ich es mit meiner Familie erlebt habe, aber bei uns ging es ja gar nicht um den Glauben!
In dem Buch fand ich es sehr gut dargestellt, dass Erklärungsversuche bei Narzissten überhaupt nichts bringen. Eher dass man selbst an seiner eigenen Wahrnehmung zweifelt und krank wird.

Schmerzhaft wurde mir mehrfach demonstriert, dass eine Versöhnung seitens meiner Familie gar nicht gewollt ist.
Dadurch wurde mir bewusst, dass diese Menschen von mir paradoxerweise erwarten, dass ich etwas akzeptiere, von dem sie selbst nicht einverstanden wären wenn ich es tun würde!
Soll heißen, egal wie viel Mühe ich mir gebe, mich klein mache, mich entschuldige, ich werde trotz alle dessen die Böse bleiben.
Daher entschied ich mich für den kompletten Rückzug. Kein Kontakt, keine Vorwürfe, aber auch keine Rechtfertigungen mehr.
Meinen Rechtsanspruch gab ich ganz bewusst an Gott ab.

Und auf einmal veränderten sich vormals gefestigte Meinungen über mich und es gibt langsam Risse in der Familienidylle.
Ich glaube es liegt hauptsächlich an der gelebten Lieblosigkeit, dass doch Personen, die sich aus Solidarität mit meinen narzisstischen Eltern als Flying Monkeys betätigt haben, anfangen die ganze Sache zu hinterfragen.

 

Mir ist es sehr wichtig darüber aufklären, nicht auf ein "Happy End" zu warten. Ich habe damals bei der Krankheit meines Vaters gedacht: "Jetzt spricht Gott doch ganz direkt zu ihm. Spätestens jetzt MUSS er doch zur Einsicht kommen." Aber mein Vater hat sich wieder seine eigene Wahrheit zurecht gelegt und in dieser stursinnig verharrt. (Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herren Werke verkündigen.) Auch die Hollywood Szene eines Reumütigen am Sterbebett entpuppte sich für mich als Illusion - ein echter Schock, hatte so fest mit der großen Versöhnung gerechnet.

 

Habe gemerkt dass ich auch ein falsches Gottesverständnis hatte. Wenn jemand die Wahrheit nicht erkennen und nicht frei werden will ist das seine Entscheidung.

Radikale Akzeptanz hat mein Therapeut immer gesagt.
Die Dinge sind, wie sie sind.
Wenn sie anders sein könnten, wären sie auch anders.

Ich habe für mich entschieden nicht in einer Depression oder Verbitterung zu verharren, da man dadurch nur sich selbst noch mehr verletzt.

Erst war ich nur erstaunt, jetzt bin ich ermutigt durch diese neuen Entwicklungen, denn ich war echt ein seelisches Wrack, habe aber dank eines guten Therapeuten und eines sehr unterstützenden Freundeskreises sowie anderen Familienmitgliedern die schlimmen Jahre durchgestanden und kann heute sagen, ich bin frei!

Natürlich empfinde ich manchmal noch Trauer, insbesondere wenn ich an meine Mutter denke.
Aber sie hat sich ganz bewusst von mir losgesagt, das zu erkennen war hart, aber ich habe es akzeptiert.

Jetzt erlebe ich ganz viele Wunder, werde überreich beschenkt mit so viel Gutem und kann im Nachhinein sagen, ja, alle Dinge dienen einem doch zum Besten!

 

21.04.2022, Autorin: Miriam

 

 


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