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Borderliner und Narzissmus: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

 

Seit einem Jahrzehnt beschäftige ich mich mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Zwei Bücher habe ich bereits zu diesem Thema veröffentlicht. Nach meiner Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie begann ich in einer psychosomatischen Klinik therapeutisch tätig zu sein. Ein Großteil meiner PatientInnen besteht aus Menschen mit Persönlichkeitsstörung(en). In diesem Artikel werde ich einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufführen, die ich bei Menschen mit Borderline Persönlichkeitsstörung (in diesem Artikel häufig mit „BPS“ oder „Borderliner“ abgekürzt) und Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung (in diesem Artikel häufig mit „NPS“ oder „Narzisst“ abgekürzt) beobachtet habe.

 

Was ist ein Narzisst?

 

Kurz gefasst ist ein Narzisst ein Mensch mit einer tiefsitzenden Selbstwertproblematik. Sein geschwächtes Selbst versucht er zu stabilisieren, indem er andere Menschen kontrolliert und abwertet. Eine ausführliche Beschreibung dieser psychischen Störung führe ich in den ersten Seiten meines Buches „Narzissmus in der Familie – Untersuchung eines Verbrechens“ auf. Diese sind hier in der kostenlosen Leseprobe auf Amazon einsehbar.

 

Was ist ein Borderliner?

 

Borderliner sind - ebenso kurz gefasst - Menschen, die emotional deutlich instabil sind. Sie leiden unter einer enormen inneren Anspannung. Diese kompensieren sie häufig mit selbstschädigendem Verhalten. Der Begriff Borderline (englisch: Grenzlinie oder Grenzgebiet) entstand 1938, als Ärzte/Ärztinnen, TherapeutInnen und WissenschaftlerInnen dieses Krankheitsbild weder der Gruppe der Neurosen noch der der Psychosen so recht zuordnen konnten, sodass man sich auf diesen Begriff geeinigt hat. Die Borderline Persönlichkeitsstörung ist eine der beiden Erscheinungsformen der „Emotional instabilen Persönlichkeitsstörung“. Die andere Erscheinungsform ist der „Impulsive Typ“. Dieser ist in den Kliniken weniger anzutreffen als der Borderline-Typ, weil die meisten Betroffenen aufgrund von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind und dann hinter Gittern landeten. In diesem Artikel konzentriere ich mich auf den Borderline-Typ, wobei es auch Mischformen gibt.

 

 

Folgende Unterschiede habe ich festgestellt:

 

Auftreten:

 

Die benannte Instabilität kann man den Borderlinern teilweise anmerken. In dem Auftreten werden ihre Minderwertigkeitsgefühle häufig spürbar. Sie wirken schwächer von ihrer Aura. Des Weiteren erlebe ich Boderliner freundlicher, fröhlicher und warmherziger.

 

Narzissten hingegen sind sehr viel stärker von ihrer Aura her und in ihrem Auftreten. Sie sind standfester und haben oft einen fixierenden Blick. Sie können überdurchschnittlich selbstbewusst wirken, was in Wirklichkeit eine Überkompensation ihrer inneren, oft selbst nicht wahrnehmbaren Minderwertigkeitsgefühle ist.

 

 

Spüren der eigenen Minderwertigkeitsgefühle

 

In den Köpfen der Borderliner läuft ein Film ab und in diesem wiederholen sich die negativen Annahmen, die sie von sich haben: „Ich bin der letzte Dreck“, „Mir darf es nicht gut gehen“, „Ich bin nichts wert“. Sie verspüren ein sehr schwaches Selbstwertgefühl und zeigen nach außen hin diese Verwundbarkeit.

 

Narzissten hingegen haben ein aufgeblähtes Selbstwertgefühl und denken, Regeln gelten für alle, nur für sie nicht. Sie haben neben ihren positiven Annahmen („Ich kann alles“, „Ich bin kompetent“, „Ich bin wichtig“) auch negative Annahmen von sich („Ich kann nichts“, „Ich bin nicht kompetent“). Zwischen diesen positiven und negativen Annahmen von sich selbst schwanken Narzissten hin und her. Wenn die positiven Annahmen aktiv sind, ist der Narzisst erträglicher. Umgekehrt ist es, wenn die negativen Annahmen aktiv sind. Die Schwankungen werden verursacht durch Stimuli von außen, z.B. durch Erfolge. Das Hin- und Herschwanken äußert sich in Stimmungsschwankungen. Nicht immer ist sich ein Narzisst seiner Selbstzweifel bewusst, doch es gibt Phasen, da wird er von starken Selbstzweifeln heimgesucht und dann bemerkt er diese auch.

 

 

Interesse an anderen Menschen:

 

Borderliner können ein echtes Interesse an anderen Menschen haben.

 

Narzissten hingegen handeln aus egoistischen Gründen: Sie wollen Menschen ausbeuten, beeindrucken und kontrollieren.

 

 

Äußeres Erscheinungsbild:

 

      Einige Borderliner färben ihre Haare auffällig mit einem knalligen Grün, Rot oder Rosa. Einige Frauen tragen Kurzhaarfrisuren. Einige haben auch einen auffallenden Kleidungsstil. Es kann ein Zeichen der Abgrenzung von den Angepassten sein. Es könnte aber auch Ausdruck ihrer Identitätssuche sein. Identitätsprobleme sind eines der neun Merkmale, von denen fünf zutreffen müssen, um die Diagnose „Borderline Persönlichkeitsstörung“ stellen zu können.

 

Narzissten wollen immer positiv auffallen. Sie folgen zumeist den jüngsten Trends und müssen immer das Neueste vom Neuen haben.

 

      Ein großer Teil an Borderlinern hat an einigen Stellen des Körpers viele Narben von den Schnittwunden, die sie sich selbst zufügen.

 

Narzissten hingegen verletzen sich in aller Regel nicht.

 

 

Leidensdruck:

 

Borderliner verspüren einen hohen Leidensdruck. Ich erlebe in der Klinik oft eine hohe Motivation, an sich zu arbeiten: Daran, dem Alltag besser nachkommen zu können und mehr Struktur in den Alltag zu bekommen. Die Gefühlsausbrüche unter Kontrolle zu bringen, an der Abhängigkeit zu anderen Menschen zu arbeiten, sich besser zu verstehen, mit Wutgefühlen umgehen zu können und so weiter.

 

Narzissten hingegen wissen in der Regel nicht, dass sie ein Problem haben und was sie in Ordnung bringen müssten. Auch werden sie wütend auf jeden, der sie darauf aufmerksam machen will, dass sie etwas an sich verändern müssten. Wenn ein Narzisst sich in Therapie begibt, dann zumeist wegen einer komorbiden Störung wie einer Alkoholsucht oder Depression. Oder auch wegen Beziehungsproblemen.

 

 

Krankheitseinsicht:

 

Hat man bei Narzissten selten und bei Borderlinern häufiger.

 

 

Prognose:

 

Es gibt sehr gute Therapieangebote für Borderline-PatientInnen. Die Störung ist gut behandelbar und viele Borderliner erreichen eine deutliche Verbesserung der Symptomatik.

 

 

Die Therapie von Narzissten gestaltet sich schwierig, weil die Krankheitseinsicht nicht besteht. Wenn der Betroffene von seinen Beziehungsproblemen berichtet, dann erzählt er wie furchtbar alle anderen Menschen um ihn herum sind. Das macht die Therapie schwierig. Wenn ein Narzisst allerdings ernsthaft an sich arbeiten möchte, kann auch dieser Besserung erzielen. TherapeutInnen müssen gut darin geschult sein, welches Wording sie benutzen um dem Narzissten seinen Anteil in dem Ganzen zu vermitteln. Aufgrund der hohen Verletzlichkeit von Narzissten besteht ein großes Risiko eines vorzeitigen Therapieabbruches.

 

 

Innere Anspannung:

 

Borderliner leben tagtäglich mit einer hohen inneren Anspannung. Auf dieses Stressniveau können „Nicht-Borderliner“ – so stressig die Situation auch sein mag – gar nicht kommen. In Gegenwart dieser Personen kann man diese Anspannung auch wahrnehmen. Manchmal wippen sie mit dem Fuß im Sitzen oder spielen nervös mit Stressringen. Dieser Zustand ist für Betroffene sehr belastend. Wenn zu der hohen Anspannung noch weitere belastende Gefühle kommen, steigt die Anspannung noch weiter an. Viele Borderliner regulieren diese schwer erträglichen Gefühle, indem sie sich schneiden oder anderweitig selbst verletzen. Laut Angabe der Charité verletzen sich 69-80% der Borderliner. Die Betroffenen berichten, dass sie während der selbstverletzenden Aktion keinen Schmerz spüren und sich im Anschluss in einem euphorischen Zustand befinden. Sie fühlen sich erleichtert und auch ihre Angstgefühle lassen nach.

 

Bei Narzissten hingegen habe ich oftmals eine gewisse innere Ruhe vernommen, die meiner Beobachtung nach daher rühren könnte, weil sie mit einer gewissen Sorglosigkeit leben, bedingt durch ihr beeinträchtigtes Gewissen und die Überschätzung ihrer Fähigkeiten. Nichtsdestotrotz sind auch Narzissten häufig innerlich unruhig, auch wenn sie es selbst nicht wahrnehmen. Sie sind aber nicht in dem Maße gestresst wie es Borderliner sind.

 

 

Dissoziative Symptome:

 

Dissoziation ist ein Abwehrmechanismus, der häufig in traumatischen Situationen greift. Hierbei wird das Bewusstsein, das Gedächtnis, die Identität und die Wahrnehmung der Umwelt unterbrochen. Die Person „beamt“ sich quasi aus der belastenden Situation weg. Dies ist eine Schutzeinrichtung der Psyche, um das Überleben der Person zu sichern. Man erkennt eine dissoziierte Person daran, dass diese starr geradeaussieht, durch einen hindurchsieht oder die Augen nach links unten gerichtet hat. Manche sitzen gekrümmt auf ihrem Stuhl, andere gestikulieren. Einige sind schwer oder gar nicht mehr ansprechbar. Wenn die betroffene Person in der Vergangenheit wiederholten Traumatisierungen ausgesetzt war (z.B. durch wiederholte sexuelle Übergriffe), kann es sein, dass sie ganz häufig dissoziieren musste. Dies kann zur Folge haben, dass dieser Mechanismus auch später noch im Alltag auftritt, wenn das ohnehin schon sehr hohe Erregungsniveau noch weiter ansteigt. Dies kann negative bis gefährliche Auswirkungen haben, speziell wenn die Person mitten in einer Auseinandersetzung plötzlich weg ist oder wenn es im Straßenverkehr passiert. Es ist wichtig, dass Menschen mit dissoziativen Symptomen lernen, die Dissoziation rechtzeitig zu erkennen und sich aus diesem Zustand zu befreien. Im Rahmen der Therapie wird ihnen beigebracht, wie sie sich rechtzeitig zurück ins hier und jetzt holen. Zum Beispiel über Körperübungen wie eine Standwaage (alle Gleichgewichtsübungen wirken antidissoziativ), oder ganz schnelles Hochrennen der Treppen, Planks, Seilspringen [...]). Da man diese Übungen nicht überall machen kann, zum Beispiel wenn man in der Uni oder in der Bahn sitzt, gibt es viele andere Varianten wie das Beißen auf eine Chilischote, einen Stressring oder Ammoniak, welche Betroffene bei sich tragen und im Bedarfsfall anwenden können. Ammoniak sollte wirklich nur im Notfall angewendet werden, da es laut einer Studie bei einer zu häufigen Anwendung zu Veränderungen im Gehirn führen kann.

Betroffene haben ganz oft damit zu kämpfen, dass sie nicht dissoziieren. Es gibt PatientInnen, die mit dem Zug bis in die Schweiz fahren, weil sie abgedriftet sind und dadurch die Haltestelle verpassten. Dissoziation ist ein Diagnosekriterium für die BPS.

 

Bei Narzissten hingegen ist Dissoziation keines der Diagnosekriterien. Das bedeutet aber nicht, dass Narzissten nicht auch dissoziieren können. Grundsätzlich können das alle Menschen. Es ist eine Schutzeinrichtung des Körpers, um nicht von unaushaltbaren Gefühlen überwältigt zu werden.

 

 

Verhalten bei Stress:

 

Borderliner reagieren bei Stress zum einen wie schon gesagt mit Selbstverletzung und Dissoziation. Zum anderen können sie in hochstressigen Phasen auch psychotische Symptome zeigen. Sie hören dann zum Beispiel Stimmen.

 

Narzissten werden bei Stress eher noch ungemütlicher für ihre Mitmenschen.

 

 

Suizidalität:

 

Das Suizidrisiko bei Borderlinern ist hoch. Über 60 Prozent haben versucht, sich das Leben zu nehmen und 5-10 Prozent machen es tatsächlich. Die höchste Suizidgefahr liegt bei Personen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und bei solchen, die sich nicht in Therapie begeben. Nach außen hin ist nicht immer deutlich, was die Suizidalität des Betroffenen ausgelöst hat. Es kann ausreichen, wenn der Borderliner seinen Partner um einen Gefallen bittet und er diesen ablehnt. Dann treten unaushaltbare Gefühle oder Erinnerungen in ihm auf, die für die betreffende Person nicht mehr ertragbar sind.

 

Narzissten hingegen werden erst suizidal, wenn ganz viel auf einmal für sie wegbricht: Der Ehepartner reicht die Scheidung ein, die Kinder brechen den Kontakt ab, sie verlieren ihren Job… Dann kann es auch für Narzissten sehr gefährlich werden.

 

 

Jobwahl:

 

Narzissten kämpfen um einen Job, der in der Gesellschaft angesehen ist und bei dem sie Macht über andere Menschen ausüben können. Weil sie keine Schwierigkeiten dabei haben, das Wohl der anderen zu ignorieren, können sie dabei über Leichen gehen.

 

Borderliner hingegen tun sich oft schwer, an einer Sache dran zu bleiben. Häufig werden Ausbildungen abgebrochen, weil sie zum einen Schwierigkeiten dabei haben, sich selbst zu strukturieren und zum anderen ergreifen sie die Flucht, wenn es belastende zwischenmenschliche Probleme gibt.

 

 

Mitgefühl:

 

Borderliner haben in der Regel viel Mitgefühl. Sie wollen, dass es anderen besser geht als es ihnen selbst ergangen ist. Sie sind hilfsbereit und kümmern sich teilweise so sehr um andere Menschen, dass sie sich selbst dabei völlig vergessen. Aus diesem Grund sind sie häufig in sozialen Berufen anzutreffen.

 

Narzissten hingegen weisen in einer für das Mitgefühl relevanten Region des Gehirns weniger graue Substanz auf als Menschen ohne NPS. Dies ergaben Untersuchungen mit Magnetresonanztomographen in der Charité Berlin.

 

 

Komorbiditäten (Begleiterkrankungen):

 

Die häufigsten Komorbiditäten bei der Borderline Persönlichkeitsstörung sind Depressionen, Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Substanzmissbrauch, die Posttraumatische Belastungsstörung (diese tritt bei Borderlinern häufiger auf als bei Narzissten), soziale Phobien, Panikstörungen und Essstörungen.

Häufige komorbide Persönlichkeitsstörungen sind die ängstlich-vermeidende, dependente, paranoide und die dissoziale Persönlichkeitsstörung (früher: Psychopathie).

 

Die häufigsten Komorbiditäten bei Narzissten sind affektive Störungen (z.B. Depressionen), Störungen durch Substanzkonsum und Magersucht.

Häufige komorbide Persönlichkeitsstörungen sind die histrionische, paranoide, Borderline- und die dissoziale Persönlichkeitsstörung.

 

Die Komorbiditäten der beiden Personengruppen sind ähnlich, Narzissten weisen aber eine deutlich geringere psychische Belastung dabei auf als Borderliner.

 

 

Abhängigkeit von anderen Menschen:

 

Borderliner sind sehr auf andere Menschen angewiesen. Sie können schwer allein sein, sodass sie sich auch mit der nächstbesten Person treffen, nur, um nicht allein sein zu müssen. Sie würden auf den Erfolg verzichten, wenn dadurch Beziehungen erhalten würden.

 

Der Narzisst ist auch abhängig von anderen Menschen, aber er leugnet diese Abhängigkeit und spürt sie auch nicht so stark. Er trifft sich am liebsten mit Personen erster Klasse, mit denen er glänzen kann. Er würde für den Erfolg seine Beziehungen opfern.

 

 

Gewissensbisse:

Borderliner können von einem schlechten Gewissen geplagt sein, wenn sie jemandem weh getan haben und verdammen sich dafür. Oft erkennen sie, wenn sie sich Anderen gegenüber nicht korrekt verhalten haben und entschuldigen sich im Anschluss dafür.

 

 

Narzissten hingegen mangelt es an Einsichtigkeit, Gewissensbissen und Reuegefühlen.

 

 

Gemeinsamkeiten:

  

Emotionale Vernachlässigung in der Kindheit:

 

Häufig entstehen die BPS und auch die NPS aufgrund von emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit. Menschen mit der Borderline Persönlichkeitsstörung haben allerdings in vielen Fällen zusätzlich wiederholten sexuellen Missbrauch erfahren.

 

 

Bedürfnis nach Kontrolle:

 

Sowohl Borderliner als auch Narzissten haben das Bedürfnis, andere Menschen zu kontrollieren. Die Motivationen sind aber verschieden: Borderliner versuchen, andere Menschen in ihrer Umgebung zu kontrollieren, um sich sicher zu fühlen. Menschen mit NPS kontrollieren Andere, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken.

 

 

Unternehmensfreudigkeit:

 

Viele Menschen mit BPS und NPS sind sehr unternehmensfreudig und wollen ständig etwas erleben. Einige Betroffene haben viel Energie und können sehr lebhaft sein.

 

 

Andere Menschen lesen können:

 

Beide Typen können häufig in kürzester Zeit die Schwachstellen des anderen Menschen herausfinden.

 

 

Schwarz-Weiß-Denken:

 

Sowohl Narzissten als auch Borderliner klassifizieren die Menschen als schwarz oder weiß. Grautöne dazwischen gibt es nicht. Sie können einen Menschen nicht mit seinen positiven und negativen Eigenschaften vereint betrachten. Aber auch hierbei unterscheiden sich Borderliner und Narzissten in folgender Hinsicht: Wer in den Augen eines Narzissten einmal „schwarz“ ist, wird sich in der Regel ein Leben lang vor den Wutgefühlen des Narzissten in Acht nehmen müssen. Ein Borderliner hingegen ist nicht so nachtragend wie ein Narzisst. Auch wechselt ein Borderliner oft mehrmals täglich zwischen schwarz und weiß hin und her.

 

 

Beide brauchen sehr viel Aufmerksamkeit:

 

Beide brauchen sehr viel Aufmerksamkeit und können sich, auch wenn sie beachtet werden, unbeachtet fühlen.

 

 

Wutausbrüche:

 

Sowohl Borderliner als auch Narzissten werden zeitweise von einer intensiven und häufig nicht kontrollierbaren Wut heimgesucht. Nach dem Wutausbruch schämen sich Borderliner und entschuldigen sich, Narzissten hingegen machen ihre Zielperson für den Wutausbruch verantwortlich.

 

 

Im Alter können beide Störungen abschwächen:

 

Sowohl die emotional instabile Persönlichkeitsstörung als auch die narzisstische Persönlichkeitsstörung können im Alter abschwächen.

 

 

Beziehungstests:

 

Der Borderliner testet die Beziehung, wenn er herausfinden möchte, wie sicher er in dieser Beziehung ist. Dabei greift er die Schwachstellen seiner Zielperson an, für welche dieser ein gutes Gespür hat. Er möchte testen, ob er immer noch gemocht wird, wenn er ungemütlich wird. Er will wissen, ob die andere Person in der Beziehung bleibt oder ob er verlassen wird (so, wie er es in seiner Kindheit wurde), wenn es schwierig wird. Nachdem die Zielperson den Beziehungstest bestanden und es geschafft hat, die Gefühle „zu halten“, freundlich und zugewandt zu bleiben, stehen weitere Beziehungstests an der Tagesordnung. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn man einen Schatz am gegenüberliegenden Ufer eines zugefrorenen Sees gesichtet hat. Jetzt möchte man ausprobieren, ob das Eis dick genug ist, um über das Eis zu diesem Schatz zu gelangen. Wie testet man, ob das Eis dick genug ist? Zuerst wirft man einen Stock auf das Eis. Dann tippt man mit dem Fuß auf die Eisfläche. Dann stellt man sich auf das Eis. Dann hüpft man vorsichtig. Dann hüpft man richtig doll. Beziehungstests sind nicht angenehm! Im therapeutischen Kontext sind sie aber positiv zu werten. Denn es bedeutet, dass die Fachkraft das Interesse des Patienten bzw. der Patientin geweckt hat.

 

Narzissten wenden zum Teil auch Beziehungstests an. Im Unterschied zu Borderlinern werten sie andere Menschen aber auch oft einfach nur ab, um diese zu verunsichern, sich selbst zu erhöhen und um narzisstische Zufuhr zu gewinnen. Sie wollen andere Menschen verletzen um zu erkennen, dass sie „mächtig“ genug sind, um Emotionen in dem Anderen zu wecken. Zielpersonen von Narzissten berichten auch davon, dass sie ein Schmunzeln im Gesicht des Narzissten sehen konnten, wenn dieser ihnen emotionale Verletzungen zufügte.

 

 

Projektive Identifikation:

 

Sowohl Narzissten als auch Borderliner projizieren ihre Gefühle auf andere Menschen. Eine projektive Identifizierung ist die Rekreation einer Projektion in einer anderen Person. Etwas, was zu mir gehört (z.B. ein Gefühl, ein Gedanke, eine Annahme), dessen ich mir aber in der Regel nicht bewusst bin, sehe ich im ersten Schritt in einer anderen Person (Projektion) und im zweiten Schritt löse ich es in ihr aus. Mein Gegenüber fängt also an, sich mit dem, was meins ist, zu identifizieren und sich dementsprechend zu verhalten. Es ist ein Abwehrmechanismus, mit dem schwer erträgliche Gefühlszustände in eine andere Person verlagert werden. Es bedienen sich vor allen Dingen zwei Bevölkerungsgruppen der projektiven Identifikation:

 

  1. Babys: Sie projizieren ihre Gefühle in die Eltern hinein, sodass in den Eltern genau das Gefühl entsteht, das das Baby hat. Der Mechanismus ist für diese Lebensphase gedacht, in der Menschen ihre seelischen Befindlichkeiten noch nicht anders kommunizieren können.
  2. Menschen mit BPS oder NPS. Oftmals wurden sie in der Kindheit nicht ausreichend emotional versorgt und nicht adäquat gespiegelt. Sie wissen daher nicht, was in ihnen los ist. Es fällt ihnen schwer, sich selbst zu regulieren, weil niemand da war, der ihnen gezeigt hat, wie das geht. Sie müssen die Gefühle nach außen verlagern, weil sie selbst mit den Gefühlen nicht umgehen können. Durch die fehlende Selbstspiegelung haben sie viele unbewusste Aspekte in sich und verlagern diese nach außen bzw. in andere Personen. Durch diese Fähigkeit haben sie häufig ein ausgeprägtes Talent, ihre Mitmenschen und TherapeutInnen zu beeinflussen.

 

Die projektive Identifikation ist einer der Hauptgründe, die das Auskommen mit Borderlinern und Narzissten so schwer macht. Viele Menschen bemerken eine Wesensveränderung der eigenen Person, oder noch viel wahrscheinlicher: das Umfeld bemerkt eine Veränderung.

 

Ein Beispiel für die projektive Identifizierung aus meinem Buch „Verlorenes Ich – Ein Essay zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung" ist folgendes: Mary steckt unwissend in einer Beziehung mit einem Narzissten. Bis zu dieser Beziehung erlebte sie selten Neidgefühle. Nach wenigen Wochen erkennt sie sich selbst nicht mehr: Sie ist unzufrieden mit sich und neidisch auf viele Frauen. So neidisch, dass sie wütend auf diese Frauen wird. Ursprung der Neidgefühle war, dass ihr narzisstischer Freund sie die gesamte Beziehung über abwertete und mit anderen Frauen verglich. Dieser konnte sich so erfolgreich von seinen Unzufriedenheits-, Wut- und Neidgefühlen distanzieren, die einen großen Bestandteil des Innenlebens eines Narzissten ausmachen.

 

Ein Beispiel für eine Projektion im beruflichen Kontext könnte sein:

TherapeutIn: „Ich nehme bei Ihnen Wut wahr.“

PatientIn: „Ich soll wütend sein? SIE sind wütend!“

 

Für TherapeutInnen kann es schwierig sein, zu unterscheiden: Was ist deins und was ist meins? Warum fühle ich mich so wütend/unsicher/inkompetent/traurig/aggressiv in Gegenwart dieser Person/nach dem Kontakt mit dieser Person? Jene TherapeutInnen, die mit Borderlinern oder Narzissten arbeiten, müssen innerlich gut aufgeräumt sein, um einfacher entscheiden zu können, welche Gefühle zu ihnen gehören und welche zum Gegenüber. Auch brauchen sie eine hohe Frustrationstoleranz. Sie brauchen ein dickes Fell, wenn sie einen Wasserfall an Abwertungen erhalten. Diese dürfen nicht persönlich genommen werden, sondern es muss als Ausdruck der Spaltung des Patienten bzw. der Patientin gesehen werden. Auch müssen TherapeutInnen lernen, ihren PatientInnen Grenzen zu setzen und trotzdem zugewandt zu bleiben. Jeder, der mit diesen Personengruppen arbeitet, braucht Unterstützung durch andere TherapeutInnen und Supervision. Das brauchen TherapeutInnen grundsätzlich, aber bei diesen PatientInnen eben noch einmal mehr. Diese Arbeit kann erlernt und mit der Zeit einfacher werden. Sie kann auch Spaß machen. Es ist wichtig, dass es gut ausgebildete TherapeutInnen gibt, die diese Beziehungen tragen können.

 

Weitere Gemeinsamkeiten sind folgende: Eine hohe Kränkbarkeit, häufiges Lügen, starke Verlustängste (bei Borderlinern stärker ausgeprägt als bei Narzissten), Anwendung von Gaslighting, in einer Partnerschaft erleben die Partner einen Missbrauchszyklus, dessen Hauptphasen von Idealisierung, Abwertung und das das vollständige fallen gelassen werden sowie das daraufhin mit Liebesverkündungen zurück gezogen werden, damit der Kreislauf von neuem beginnen kann, geprägt ist. 

 

 

Zum Schluss sei noch gesagt, dass sich niemand aussucht, Narzisst oder Borderliner zu sein. Die hier beschriebenen Auffälligkeiten entwickelten Betroffene, um die schlimmen Erfahrungen in ihrer Vergangenheit irgendwie zu überstehen.

 

 


Quellenangabe:

Komorbiditäten Borderline Persönlichkeitsstörung: https://psychiatrie.charite.de/behandlungsangebot/persoenlichkeitsstoerungen_und_ptsd/krankheitsbild_ps_und_ptsd/ Komorbiditäten Narzisstische Persönlichkeitsstörung: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0028-1102943

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